Teilnahme an der Augenoperationskampagne in Ngaoundal im März 2019

Zum dritten Male seit Bestehen der Augenhilfe Afrika nehme ich an einer unserer Augenoperationskampagnen in Kamerun teil, nach Mora im Februar / März 2014 und Eséka im März 2017. Dieses Mal reise ich mit meinem Vorstandskollegen Heinz-Josef Rebig, der zum ersten Mal in Kamerun dabei ist. Natürlich zahlen wir die Reisen wie immer aus eigener Tasche. Jeder Cent Spendengeld wird weiterhin für unsere Arbeit in Afrika verwendet. Alle administrativen Kosten decken wir über die Mitgliedsbeiträge der Augenhilfe-Mitglieder ab.

Vor der Abfahrt nach Ngaoundal am Bahnhof von Yaoundé
Das Gepäck wird verstaut.
Ngaoundal liegt in der Region Adamoua.

Der erste diesjährige Kampagnenort Ngaoundal liegt in der Region Adamoua, ziemlich genau in der geographischen Mitte Kameruns und geschickterweise unmittelbar an einer der wenigen Eisenbahnlinien des Landes. So fällt die Entscheidung nicht schwer, mit dem Zug anzureisen. Im Bahnhof von Yaoundé verladen wir das umfangreiche für Augenuntersuchungen und -operationen erforderliche Gepäck und erreichen nach einer langen Nachtfahrt durch weitgehend unbesiedeltes Gebiet nach gut 12 Stunden Ngaoundal. Unsere Reisegesellschaft besteht aus insgesamt 8 Personen. Dazu gehören außer unserem kamerunischen Freund Dr. med. Raoul Cheuteu Augenoptiker und Medizinisch-Technische Assistenten.

In Ngaoundal stößt noch Miriama hinzu, die in Mora im äußersten Norden Kameruns lebt und uns dort bereits bei der Kampagne 2014 äußerst wirkungsvoll unterstützt hat. Sie war seitdem bei mehreren Kampagnen im nördlichen Kamerun dabei. Ihr großer Fleiß und ihre ausgeprägte Hilfsbereitschaft sind das Eine, vor allem aber spricht sie die Sprachen der Augenpatienten des Nordens. In Mora war dies ihre Muttersprache Mandara, jetzt in Ngaoundal wird es Fulfulde sein, die Sprache des Fulbe-Volkes. Ohne ihre unermüdliche Übersetzungsarbeit würde vieles nicht funktionieren. Um das Kampagnenteam der Augenhilfe Afrika zu unterstützen, nimmt sie übrigens beträchtliche Mühen auf sich. Von Mora bis Ngaoundal war sie insgesamt 48 Stunden unterwegs, zuerst mit dem Bus von Mora nach Maroua, mit einem weiteren Bus von Maroua nach Garoua, mit dem nächsten Bus von Garoua nach Ngaoundéré und schließlich von dort mit dem Zug nach Ngaoundal. Auf dem Rückweg in ein paar Tagen steht ihr wieder die gleiche Strapaze bevor. Aber sie beschwert sich nicht und macht ihre Arbeit mit erkennbar großer Freude.

Der zweite Augenarzt, unser Freund Prof. Dr. med. Giles Kagmeni, reist mit Fred, einem Medizinisch-Technischen Assistenten, erst drei Tage später mit dem Nachtzug an, da er zunächst noch durch andere Aufgaben in Yaoundé gebunden ist.

Die beiden Ärzte arbeiten bei den Kampagnen unentgeltlich. Beide haben in Deutschland studiert, fühlen sich dadurch in gewisser Weise privilegiert und betrachten die Durchführung der jährlich vier von der Augenhilfe Afrika finanzierten Operationskampagnen als soziale Verpflichtung. Sie wollen ihrem Land etwas zurück geben, speziell den blinden und sehbehinderten Patienten in entlegenen und  unterversorgten Regionen.

Die Auberge California, unsere Unterkunft in Ngaoundal
Zwei Soldaten sorgen nachts für unsere Sicherheit.
Straßenbild in Ngaoundal
Mototaxis sorgen für den Personentransport.
Auf dem Markt von Ngaoundal

Ngaoundal ist eine typische afrikanische Kleinstadt. Eine Infrastruktur, wie wir sie in Europa gewohnt sind, sucht man weitgehend vergebens. Die einzige in Frage kommende Unterkunft ist beispielsweise die Auberge California in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs. Hier sind wir folglich auch untergebracht. Die Zimmer sind für afrikanische Verhältnisse ganz ok, manchmal gibt es auch Strom und/oder fließendes Wasser.

Ein Frühstück ist in unserer Unterkunft leider nicht zu bekommen, wohl aber ein Abendessen nach getaner Arbeit. Das Essen ist ganz ok, das Feierabend-Bier dagegen meistens warm, da mangels Strom der Kühlschrank nur selten funktioniert. Unser Frühstück nehmen wir regelmäßig im Restaurant Santa Barbara ein. Wobei der Begriff Restaurant einigermaßen sicher beim geneigten Leser völlig falsche Assoziationen weckt. Schon der Begriff Pommes-Frites-Bude wäre dramatisch übertrieben. Immerhin gibt es jedoch jeden Morgen Omelette mit frischem Baguette. Einzeln verpackte Nescafé-Sticks für den Frühstückskaffee müssen regelmäßig erst in Geschäften der Nachbarschaft besorgt werden. Das Gleiche gilt für Zucker-Sticks und Milch.

Frühstück im Restaurant Santa Barbara

Einen krassen Gegensatz zur beschriebenen Situation vor Ort bildet unser eigentlicher Kampagnenort, das mehrere Kilometer außerhalb von Ngaoundal gelegene L´Hôpital Sainte Jeanne-Antide Thouret oder L´Hôpital Galagala, wie es nach der Ansiedlung in der Nähe auch genannt wird. Von der Schweizerischen L’Association Hôpital Galagala finanziert begann der Bau im Jahre 2013. Seit etwa 5 Jahren ist das von den Sœurs de la Charité betriebene Krankenhaus nun in Betrieb.

Und dieses Krankenhaus ist ein Kleinod. Es wirkt fast deplatziert in der lokalen Umgebung. Alles hier ist absolut sauber, es liegt keinerlei Unrat herum wie praktisch überall sonst, es gibt gepflegte Anlagen mit Blumenrabatten und Sträuchern. Und die Operationsräume beispielsweise könnten problemlos auch in Europa sein. Wir befinden uns hier definitiv in einer anderen Welt, nicht mehr in der Dritten, sondern buchstäblich in der Ersten. Nach Aussage unserer beiden Ärzte ist das L´Hôpital Galagala in jeder Beziehung der mit Abstand beste Kampagnenort, den wir bisher in Kamerun gehabt haben. Die Bedingungen für die anstehende Arbeit sind hervorragend.

Der Kampagnenort, das mit Geldern aus der Schweiz gebaute L´Hopital Galagala
Heinz-Josef Rebig mit Direktorin Schwester Maria, die seit 38 Jahren in Afrika arbeitet
Innenbereich des Krankenhauses

Schon am Tag unserer Ankunft in Ngaoundal beginnt das Augenhilfe-Team mit den Untersuchungen. Viele Patienten und ihre Begleitungen sind bereits eingetroffen und warten darauf, dass sie an die Reihe kommen. Voller Zufriedenheit kann ich feststellen, dass die Arbeit durch die Anschaffung diverser Geräte, die wir in den letzten Jahren getätigt haben, wesentlich professioneller und auch einfacher geworden ist. Viele Untersuchungen laufen jetzt parallel ab. Der Medizinisch-Technische Assistent Anthony führt Voruntersuchungen durch und reicht diejenigen Patienten, die eventuell für eine Operation in Frage kommen, zur genaueren Bestätigung der Diagnose an Dr. Cheuteu weiter.

Großer Andrang vor dem Untersuchungsraum
Wartende Patienten
Im Untersuchungsraum herrscht reger Betrieb.
Mariama (Bildmitte) übersetzt Fulfulde, die Sprache der Fulbe, ins Französische.
Dr. Cheuteu erklärt einem Patienten seine Diagnose.
Augenuntersuchung durch Dr. Cheuteu
Augenuntersuchung mit der Spaltlampe
Augenuntersuchung durch den MTA Anthony Peny
Augenuntersuchung bei einem zweijährigen Jungen
Mariama übersetzt aus dem Französischen in Fulfulde.
Mariama appliziert bei einem kleinen Patienten eine Augensalbe.
Im Untersuchungsraum

Die Augenoptiker Alexis und Assiga ermitteln mit modernem Gerät die Sehschärfe, und Dominique schleift die benötigten Brillengläser passend, so dass den Patienten direkt anschließend maßgeschneiderte Brillen übergeben werden können. Mariama springt die ganze Zeit unermüdlich hin und her, um zu übersetzen. Viele Patienten verstehen kein Französisch, und ohne Mariamas Fulfulde-Kenntnisse wäre die Kommunikation wie erwähnt noch schwieriger, als sie ohnehin schon ist.

Die Sehstärke wird ermittelt.
Im nächsten Schritt wird für den Patienten eine maßgeschneiderte Brille gefertigt.
Sehbehinderte Patienten mit neu angefertigten maßgeschneiderten Brillen

Die Untersuchungen sowie die später erfolgenden Operationen sind für die Patienten kostenlos, für die Medikamente zur Nachsorge wird dagegen der Einkaufspreis verlangt. Ganz kostenlos darf das Ganze nicht sein. Der Wert einer Leistung muss auch in Afrika immer erkennbar bleiben.

Am ersten der beiden für die Operationen vorgesehenen Tage ist Prof. Kagmeni mit dem Nachtzug von Yaoundé kommend eingetroffen und bereitet sich auf seinen Einsatz vor. Die als erste zur Operation vorgesehenen Patienten sind bereits in blaue Umhänge gewandet, die der leichteren Identifizierung dienen. Mit Augentropfen werden die zu operierenden Augen lokal betäubt. Und wie immer handelt es sich beim überwiegenden Teil der Operationen um Grauen Star. Meistens tritt diese auch Katarakt genannte Erkrankung erst in fortgeschrittenem Alter auf. Es gibt jedoch auch Ausnahmen.

Mariama bereitet Patienten mit Augentropfen auf ihre Operation vor.
Als Nächste zur Operation vorgesehene Patienten
Dieses Mädchen ist von Geburt an blind – beidseitiger Grauer Star.

Die allererste zur Operation vorgesehene Patientin ist eine solche Ausnahme. Es handelt sich um ein Mädchen, das von Geburt an blind ist. Sie hat beidseitig Grauen Star und noch nie irgendetwas gesehen. Keinen Menschen, keinen Baum, kein Haus. Und genau dieser Krankheitsfall entwickelt sich für mich und das komplette Team zum bewegendsten der gesamten Kampagne. Prof. Kagmeni operiert zuerst das eine und direkt anschließend das andere Auge. Es wird eine Salbe aufgetragen, die Augen werden verbunden, und die Verbände bleiben bis zum nächsten Morgen an ihrem Platz. Die Beantwortung der Frage, ob das Mädchen durch die Operation erstmals die Fähigkeit zu sehen erlangt, muss bis zur Abnahme der Verbände vertagt werden.

Wir dürfen ganz dicht bei den Operationen dabei sein.
Prof. Dr. med. Giles Kagmeni operiert das blinde Mädchen.
Die beidseitige Operation an dem Mädchen ist erfolgreich überstanden.
Patienten nach der Operation. Zweite von links ist das Mädchen.

In der Zwischenzeit gehen die Untersuchungen, Brillenanfertigungen und Operationen weiter. Nach einiger Zeit löst Dr. Cheuteu Prof. Kagmeni am Operationstisch ab. Außer vielen Graue-Star-Operationen fallen auch einige Grüne-Star-Operationen sowie Spezialfälle an. Und am Abend des ersten Operationstages sind vor allem die beiden Ärzte rechtschaffen müde. Naturgemäß tragen sie den Großteil der Last.

Dr. Cheuteu bei Grauer-Star-Operation
Dr. Cheuteu bei Grauer-Star-Operation. Rechts Prof. Kagmeni
Patienten nach der Operation (1)
Patienten nach der Operation (2)
Patienten nach der Operation (3)
Patienten nach der Operation (4)
Am Abend im Hof unserer Unterkunft

Am nächsten Morgen kommt der spannende Moment, wenn die Verbände der am Vortag operierten Patienten abgenommen werden. Es ist immer wieder bewegend, die Freude der Menschen zu sehen, die wieder sehen können. Viele strahlen über das ganze Gesicht.

Bei dem Mädchen geht es nicht darum, „wieder“ sehen zu können. Bei ihr geht es um erstmaliges Sehen. Als sie nach der Entfernung der Verbände die Augen öffnet, steht ihr ungläubiges Staunen ins Gesicht geschrieben. Dann lächelt sie und schaut mich, der ich mit der Kamera direkt vor ihr stehe, verwundert an. Ich erstelle eine kurze Filmsequenz und habe dabei die Kamera mit der rechten Hand am Auge. Mit der linken Hand winke ich ihr zu. Und dann geschieht das Unfassbare. Sie winkt zurück.

Die Verbände werden abgenommen.
Das Mädchen kann erstmals im Leben sehen.

Kurz darauf zeigt ihre Mutter auf meine Hand und erklärt dem Mädchen, dass diese die Farbe blanc, also weiß hat und ihre eigene Hand die Farbe noir, also schwarz. Die französischen Worte blanc und noir waren dem Mädchen wohlbekannt, aber die Bedeutung wird ihr erst jetzt klar, nachdem ihr durch die Operation vom Vortag das Augenlicht geschenkt wurde.

Die beschriebene Episode ist für mich beglückender als alles, was ich bisher an schönen Momenten bei unseren Operationskampagnen erlebt habe. Ich werde dieses Erlebnis nie vergessen. Es zeigt für mich wie kein anderes den Sinn und Zweck unserer gemeinnützigen Arbeit.

Auch diese tätowierte Frau kann nach langen Jahren wieder sehen.
Dr. Cheuteu inmitten von jetzt wieder sehenden Patienten

Am Morgen unseres sechsten Tages in Ngaoundal, einem Sonntag, sind alle operierten Patienten noch einmal zusammengekommen, um die Nachsorge-Medikamente entgegen zu nehmen und Verhaltensmaßregeln mit auf den Weg zu bekommen. Danach werden unsere Gerätschaften zusammengepackt und zum Bahnhof gebracht.

Dr. Cheuteu erklärt die Anwendung der Nachsorge-Medikamente.
Alles ist wieder zum Abtransport zusammen gepackt.

Auf dem Weg dorthin liefern wir noch zwei Patienten bei deren jeweiligem Zuhause ab. Der eine ist ein älterer Herr, der vor 8 Jahren erblindet ist und nun wie ein junges Reh uns voraus durch die Felder zu seiner Hütte läuft, die er uns unbedingt zeigen will. Er ist so schnell unterwegs, dass wir ihm kaum folgen können. Vor zwei Tagen musste er noch von einem Enkel am Stock geführt werden. Er ist voller Begeisterung und kann sein Glück kaum fassen.

Siedlung in unmittelbarer Umgebung des Kampagnenortes
Dieser Mann, der 8 Jahre lang blind war, zeigt uns sein Anwesen.
Wir haben das Mädchen (hinten in Bildmitte) nach Hause gebracht.

Auch das Mädchen bringen wir nach Hause und machen im Hof des Anwesens ihrer Eltern noch ein paar Erinnerungsfotos. Und am späten Abend erfolgt dann die Rückfahrt mit dem Zug nach Yaoundé. Die erste Operationskampagne des Jahres 2019 ist damit erfolgreich abgeschlossen. Mit 399 Augenuntersuchungen, 48 Operationen und 26 maßgeschneiderten Brillen.

Nächtliche Zugfahrt zurück nach Yaoundé

Abschließend noch ein erwähnenswertes Highlight: In Ngaoundal konnten wir die eintausendste Operation seit Bestehen der Augenhilfe Afrika durchführen. Die nächsten 1.000 – oder auch mehr – warten auf uns. Doch diese Herausforderung können wir nur mit weiterer tatkräftiger Unterstützung unserer großzügigen Spender bewältigen.