OP-Kampagne und Bekämpfung der Flussblindheit in Sa´a

Unsere erste Untersuchungs- und Operationskampagne des Jahres 2023 ist in vielfacher Hinsicht sehr ungewöhnlich und erfolgreich. Zunächst einmal finanziert erstmals der deutsche Verein WMF Barmherzigkeit und dessen österreichische Schwesterorganisation Barmherzigkeit International eine unserer Kampagnen. Diese beiden gemeinnützigen Vereine setzen einen der Schwerpunkte ihrer Aktivitäten auf die Bekämpfung der Onchozerkose oder Flussblindheit. Diese Erkrankung geht auf eine Infektion mit einem Fadenwurm zurück, der durch den Stich von weiblichen Kriebelmücken verursacht wird. Flussblindheit verursacht Juckreiz, Ausschläge, die üble Vernarbungen zur Folge haben können, und kann zur völligen Blindheit führen. Im tropischen Afrika ist die Flussblindheit weit verbreitet, vor allem, wie der Name schon andeutet, in der Nähe von Flüssen, in denen die Kriebelmücken brüten.

Sa´a liegt etwa 50 km nördlich der kamerunischen Hauptstadt Yaoundé.

Als Kampagnenort wählte unser Augenarzt Dr. Raoul Cheuteu die Kommune Sa´a etwa 50 km nördlich der kamerunischen Hauptstadt Yaoundé aus. Sa´a liegt unweit des mächtigen Flusses Sanaga und hat schwer mit der in der gesamten Gegend weit verbreiteten Flussblindheit zu kämpfen. Sa´a passt somit perfekt in das Konzept unserer beiden Geldgeber. Insgesamt fünfmal fährt Dr. Cheuteu von Yaoundé nach Sa´a, um die Kampagne vorzubereiten, die Behörden zu sensibilisieren und die nötigen Genehmigungen einzuholen. Ein gewaltiger, aber leider unvermeidlicher Aufwand.

Straßenbild in Sa´a mit einem Banner, das auf die OP-Kampagne hinweist
Menschengewühl in Sa´a

Die Kampagne findet dann im Bezirkskrankenhaus von Sa’a statt. Am frühen Nachmittag des 27. März 2023 trifft das Team der Fondation Médicale Kacheu in Sa´a ein und bereitet alles für den Kampagnenstart am folgenden Tag vor. Zunächst müssen dazu die beiden Transportfahrzeuge entladen werden. Denn die gesamte für die Kampagne benötigte Ausrüstung wird ja mitgeführt. Dazu gehören Augenuntersuchungsgeräte wie Spaltlampe, Retinograph, indirektes binokulares Ophthalmoskop und tragbares Tonometer, außerdem ein Sterilisator, ein Operationsmikroskop, chirurgische Instrumente, Anästhetika und Bandagen, Medikamente zur Überwachung sowie eine komplette augenoptische Werkstatt. Alles in allem summiert sich das auf durchaus imposante 320 kg.

Das OP-Mikroskop wird zusammengebaut.
Der Augenoptikerbereich ist vorbereitet.

Die Anschaffung all dieser Dinge wurde im Laufe der letzten Jahre durch großzügige Geld- und Sachspenden ermöglicht. Ohne unsere treuen Spender, die uns seit vielen Jahren zuverlässig unterstützen, wären unsere segensreichen Kampagnen in augenärztlich völlig unterversorgten Regionen von Kamerun bekanntlich nicht möglich. Dies kann man gar nicht oft genug betonen.

Insgesamt 5 Ärzte nehmen an der Kampagne in Sa´a teil. Auch dies ist völlig ungewöhnlich, so etwas hatten wir noch nie. Außer unseren Freunden Dr. Raoul Cheuteu und Prof. Dr. Giles Kagmeni, unseren beiden bewährten Augenärzten, ist zunächst noch die Augenärztin Dr. Nanfack mit dabei. Sie hat sich dem Team angeschlossen, um zu helfen und weitere berufliche Erfahrung zu sammeln. In der Hauptsache übernimmt sie während der Kampagnentage die Anästhesie und assistiert bei den OPs.

Das Ärzteteam: (v.l.) Dr. Nanfack, Dr. Cheuteu, Prof. Kagmeni und die beiden Assistenzärztinnen

Weiterhin konnte Prof. Kagmeni erreichen, dass zwei junge Assistenzärztinnen, die noch mitten in ihrer Facharztausbildung stecken, an unserer OP-Kampagne teilnehmen. Die eine ist angehende Augenärztin, die andere strebt eine Laufbahn als Anästhesistin an. Beide bekommen ihre Teilnahme an der OP-Kampagne als Praktikum anerkannt. Diese Konstellation ist für beide Seiten eine echte Win-Win-Situation. Wir bekommen tatkräftige und kompetente Unterstützung, und die beiden jungen Ärztinnen ohne Übertreibung in wenigen Tagen mehr zu sehen und mehr praktische Erfahrung als sonst im Verlauf von Jahren.

Großer Andrang …
… von Patienten
Auch ganz junge Patienten sind eingetroffen.
Dr. Cheuteu (l.) erklärt den Patienten das weitere Vorgehen.
Dann ist Warten angesagt, auf die Untersuchung und ggf. eine OP.

Der Andrang der Patienten in Sa´a ist gewaltig. Unser Team untersucht im Laufe der Tage insgesamt 643 Augen, mehr als jemals zuvor bei einer Kampagne. Die hohe verfügbare Kapazität an Medizinern macht sich hier deutlich positiv bemerkbar. Der jüngste Patient ist übrigens ganze zwei Jahre alt, die älteste Patientin 91 Jahre.

Dr. Cheuteu untersucht einen jungen Patienten …
… und eine junge Patientin.
Aber natürlich sind auch ältere Patienten dabei.

Auch der Augenoptikerbereich ist dieses Mal mit Ezekiel und Dominique doppelt besetzt. Und so ergibt sich auch bei der Anfertigung von maßgeschneiderten Brillen mit 56 Exemplaren ein bemerkenswerter neuer Rekord.

MTA Anthony bei der Bestimmung der Sehschärfe, …
… die mit moderner Ausrüstung ermittelt wird.
Neue maßgeschneiderte Brillen …
… zieren das Gesicht.
Dr. Cheuteu und eine Anzahl Patienten mit neuen maßgeschneiderten Brillen

Wie erwartet werden sehr viele Patienten mit Flussblindheit identifiziert. Insgesamt sind es 124 Personen. 96 davon könnten bzw. müssten mit Ivermectin behandelt werden. Bei den verbleibenden 28 Patienten ist dies dagegen wegen zusätzlicher Erkrankungen wie Bluthochdruck oder Diabetes nicht möglich. Ivermectin wird dem Staat Kamerun von der WHO, der Weltgesundheitsorganisation, kostenlos zur Verfügung gestellt, ist aktuell in Sa´a aber nicht verfügbar. Unsere Ärzte übergeben daher die Patientenliste an den Direktor des Bezirkskrankenhauses, damit dieser die Besorgung von Ivermectin sowie die Behandlung der Flussblindheit-Patienten übernimmt. In ein paar Monaten wird Dr. Cheuteu nachfassen, um sicherzustellen, dass die Behandlung der identifizierten Patienten tatsächlich wie vorgesehen ordnungsgemäß durchgeführt wurde.

Natürlich ist – wie immer – der Graue Star auch in Sa´a sehr präsent. Insgesamt werden 116 Augen mit Grauem Star diagnostiziert. Eine solche Zahl von nötigen Operationen ist für eine einzige Kampagne allerdings wesentlich zu groß. Sie übersteigt bei Weitem die Kapazität des Teams. Außerdem leidet ein Teil der Graue-Star-Patienten zusätzlich auch an Flussblindheit, die ja mit einer Entzündung im Auge einhergeht. Und entzündete Augen können nicht operiert werden. Dies beinhaltet zu viel Risiko. Das heißt, in diesen Fällen muss zunächst die Flussblindheit geheilt werden. Erst dann kann eine Katarakt- oder Graue-Star-OP erfolgen.

Typischer Grauer Star
Vorbereitungen im OP-Saal. Hinten links Prof. Kagmeni
Prof. Kagmeni …
… bei einer Augenoperation
Nahaufnahme des Operationsvorganges
Eine frisch operierte Patientin wird in den Ruhebereich gebracht.

Insgesamt operieren unsere Ärzte in Sa´a 46 an Grauem Star erkrankte Augen. Die Auswahl geschieht so, dass bei beidseitig erblindeten Personen in der Regel zunächst nur ein Auge operiert wird, um dem blinden Patienten die Sehfähigkeit zumindest auf einem Auge wiederzugeben. Die Patienten mit den 70 verbleibenden Augen mit Grauem Star müssen leider auf eine spätere Gelegenheit vertröstet werden.

Zu den ausgeführten 46 Graue-Star-OPs kommen dann noch 6 Pterygien und ein Bindehautnävus hinzu. Insgesamt ergeben sich daraus somit 53 Operationen. Eine Bindehautnävus ist ein Tumor, der allerdings in der Regel nicht bösartig ist. Es handelt sich quasi um einen „Leberfleck“ auf der Bindehaut. Im Folgenden wird der Bindehautnävus-Fall näher beschrieben.

Es geht dabei um den 81 Jahre alten Bauern Alexandre Essimi Mvogo. Durch einen Unfall bei der Feldarbeit hat er bereits 1981 sein linkes Auge verloren. In den letzten Jahren entwickelte sich bei ihm im verbleibenden rechten Auge ein inzwischen voll ausgereifter Grauer Star und zusätzlich der erwähnte Bindehautnävus von etwa einem Millimeter Durchmesser. Durch den Grauen Star ist er bereits seit längerer Zeit komplett blind. Prof. Kagmeni und Dr. Cheuteu entscheiden, eine kombinierte Katarakt- und Tumorentfernungsoperation durchzuführen, um ihm die Sehfähigkeit zurückzugeben. Prof. Kagmeni operiert, ersetzt die getrübte Linse durch eine künstliche und entfernt den Tumor, und am folgenden Tag nach Abnahme des Augenverbandes kann der betagte Patient erstmals seit langer Zeit wieder sehen. Das entnommene Gewebe aus dem Tumor wird zur Untersuchung in die Pathologie geschickt. Wie erhofft erweist sich der Tumor dann als gutartig.

Der 81jährige Alexandre Essimi Mvogo …
… leidet an einem Grauen Star und einem Bindehautnävus.
Die trübe Linse und der Bindehautnävus sind entfernt.
Dr. Cheuteu und der frisch operierte Alexandre Essimi Mvogo
Ein Auge ist frisch operiert, das andere bereits seit 42 Jahren zerstört.
Alexandre Essimi Mvogo sieht noch lädiert aus, kann aber endlich wieder sehen.

Ein weiterer interessanter Fall betrifft den 69jährigen Pierre Fokou, der vor seiner Augenerkrankung als Polizist gearbeitet hat. Er hat beidseitigen Grauen Star und ist seit mehreren Jahren völlig blind. Sein Fall wird von einem Kamerateam des kamerunischen Fernsehens aufbereitet und später in den Abendnachrichten gesendet, sowohl in einer französischen als auch in einer englischsprachigen Version.

Pierre Fokou wird begleitet von seiner Frau und seiner Tochter. Seine Frau erzählt im Interview, dass sich die Tochter praktisch permanent um ihren Vater kümmern muss, damit ihm nichts zustößt. Da er nichts sehen kann, ist bei der Familie zu Hause grundsätzlich immer das Radio eingeschaltet. Dies erleichtert Pierre Fokou die räumliche Orientierung.

Der blinde Pierre Fokou wird von seiner Tochter geführt.

Er ist einer der wenigen Patienten, die beidseitig operiert werden. Als er am Tag nach der OP die Verbände abgenommen bekommt, fragt Dr. Cheuteu ihn, ob er die beiden Personen erkennt, die wenige Meter vor ihm stehen. Ohne zu zögern, antwortet er: „Ja, meine Frau und meine Tochter.“ Kurz darauf liegt die Familie sich in den Armen. Für sie beginnt quasi ein neues Leben. Genau wie für die anderen frisch operierten Patienten, die erstmals nach langer Zeit wieder sehen können.

Pierre Fokou nach seiner beidseitigen Operation
Prof. Kagmeni und Dr. Cheuteu (hinten) mit frisch operierten Patienten. Pierre Fokou vorne links
Der endlich wieder sehende Pierre Fokou wird von seiner Frau umarmt.
Pierre Fokou ist glücklich, dass er wieder sehen kann.
Das Fernsehteam beim Interview von Pierre Fokous Frau
Frau und Tochter von Pierre Fokou
Dr. Cheuteu mit Patienten, …
… die wieder sehen können
Dr. Cheuteu gibt letzte Anweisungen zum Einsatz der Nachsorge-Medikamente

Von kamerunischen Fernsehen gezeigte französische Version der OP-Kampagne in Sa´a

Von kamerunischen Fernsehen gezeigte englische Version der OP-Kampagne in Sa´a