Am Abend des 15. November erreichen mein Bruder Günter und ich mit der Gerätespende der Augentagesklinik Sursee aus der Schweiz kommend Korschenbroich, räumen den Mercedes-Sprinter mit Hilfe der Augenhilfe-Vorstandsmitglieder Ralf Heinrichs und Josef Cremer aus und lagern alles vorübergehend in Günters Garage (vgl. bereits veröffentlichter Bericht „Umfangreiche Gerätespende der Augentagesklinik Sursee, Schweiz“ auf dieser Website).
Und am sehr frühen Morgen des folgenden Tages machen Günter und ich uns auf zum Brüsseler Flughafen, um von dort nach Kamerun zu fliegen. Doch schon am Bahnstein in Mönchengladbach wartet eine Überraschung auf uns: Der gebuchte Zug nach Aachen fährt wegen Brückenarbeiten nur bis Herzogenrath. Von dort ist ein sogenannter Schienenersatzverkehr zum Aachener Hauptbahnhof eingerichtet. Der fährt aber, wie wir leicht fassungslos feststellen müssen, erst eine Dreiviertelstunde (!) nach Ankunft des Zuges in Herzogenrath los. So lange können wir nicht warten, denn dann ist der Flieger weg. Wir brauchen definitiv eine andere Lösung. Erst das dritte von mir angerufene Taxiunternehmen in Herzogenrath ist in der Lage, kurzfristig ein Fahrzeug zu schicken. Wir quälen uns durch den morgendlichen Berufsverkehr, müssen aber bald erkennen, dass der Zug in Aachen für uns nicht erreichbar ist. Folglich fragen wir die Taxifahrerin, ob sie uns direkt zum Brüsseler Flughafen bringen kann. Das kann sie. 270 Euro wechseln den Besitzer, und wir erreichen mit etwas Schweiß auf der Stirn gerade noch rechtzeitig unseren Flieger nach Kamerun.
Unser schwarzer Freund und Augenarzt Dr. Raoul Cheuteu holt uns am Flughafen in Yaoundé ab und quartiert uns bei sich zu Hause ein. In den nächsten gut zwei Wochen stehen in Kamerun dann folgende vier Schwerpunktthemen für uns an: Die Besichtigung der neugebauten Augenklinik in Yaoundé, die im kommenden Februar eröffnet werden soll, der Besuch unserer im letzten Jahr in Betrieb gegangenen Augenklinik in Ambam in Süd-Kamerun, die dritte OP-Kampagne des laufenden Jahres im nordkamerunischen Mokolo und die Grundsteinlegung zu unserer bereits dritten Augenklinik in Mora, ebenfalls Nord-Kamerun.
Die neue Augenklinik in Yaoundé ist ein mehrstöckiges Gebäude am Ende einer steil ansteigenden Stichstraße. Fertigstellung und Eröffnung stehen wie bereits erwähnt kurz bevor. Das Gebäude ist auch handwerklich ausgesprochen gut gelungen und wird als unübersehbares Leuchtturmprojekt in Kamerun und in ganz Zentralafrika wirken.
Durch verschiedene Umstände hat sich die Fertigstellung gegenüber der ursprünglichen Terminplanung verzögert. Auch kam es zu unvorhergesehenen Kostensteigerungen. Daran ist nicht nur der Ukraine-Krieg Schuld, aber auch. Trotz der bereits eingetretenen Kostensteigerungen gibt es weiteren Bedarf für Investitionen. Dies betrifft z.B. noch fehlende Einbauschränke, aber auch sicherheitsrelevante Themen. So müssen z.B. an den Fenstern noch Gitter angebracht werden, um die vorhandene Absturzgefahr zu bannen. Auch ein Schiebetor fehlt noch. Und der Zufahrtsweg ist zurzeit, gelinde gesagt, noch durchaus verbesserungswürdig. Hier muss dringend eine Pflasterung mit Betonsteinen her. Das alles kostet Geld, und zwar leider mehr Geld, als wir aktuell in der Kasse haben. Folglich müssen wir priorisieren und die Themen in eine bezahlbare Reihenfolge bringen. Dies wird Aufgabe der nächsten Wochen sein.
Bei einem unserer Besuche auf der Baustelle lernen wir Dr. Ariel Nyatchou Djassi kennen. Er hat gerade sein Medizinstudium mit der Promotion erfolgreich abgeschlossen und seine Facharztausbildung zum Augenarzt begonnen. Ab sofort wird er unser Augenärzte-Team in Kamerun verstärken. Während seiner vierjährigen Facharztausbildung bekommt er ein Stipendium, das zur Hälfte von der Augenhilfe Afrika und zur Hälfte von den Eheleuten P. aus Korschenbroich bezahlt wird. Im Gegenzug verpflichtet er sich, nach Abschluss seiner Facharztausbildung 7 Jahre für die Fondation Kacheu zu arbeiten. Wir freuen uns sehr über diese Verstärkung, die auf eine Initiative der Eheleute P. zurückgeht, denen wir sowohl dafür als auch für ihre großzügige finanzielle Unterstützung sehr dankbar sind.
Die außer Dr. Ariel Nyatchou Djassi im Foto unten gezeigte Augenärztin Dr. Dahlia Eurielle Sina Kouam Komatchou arbeitet seit ein paar Monaten in der Augenklinik von Dr. Cheuteu, ist noch in der Probezeit und danach ebenfalls für eine feste Einstellung vorgesehen. Wenn alles wie vorgesehen klappt, haben wir eine gewaltige Verbesserung erreicht, nach der wir viele Jahre gestrebt haben.
Bevor wir zu unserem 2-Tages-Trip in das 270 km südlich gelegene Ambam aufbrechen, statten wir Frau Aïchatou Sali in ihrem Büro einen Besuch ab. Diese einflussreiche Dame arbeitet im Finanzministerium und bekleidet dort die Funktion, die in Deutschland Staatssekretärin heißen würde. Sie ist der eigentliche Auslöser dafür, dass es die Augenhilfe Afrika überhaupt gibt. Anfang 2013 hatte Dr. Giles Kagmeni ihren blinden Vater am Grauen Star operiert und ihm das Augenlicht wiedergegeben, woraufhin sie Dr. Kagmeni und Dr. Cheuteu überzeugte, in Mora in Nord-Kamerun, wo sie zu Hause ist und wo es erschreckend viele blinde Menschen gibt, eine erste OP-Kampagne durchzuführen, die sie dann komplett finanzierte. 51 Augen wurden damals erfolgreich operiert. Durch diese Aktion entstand bei unseren beiden Augenärzten überhaupt erst die Idee zur Einrichtung einer mobilen Augenklinik. Dr. Cheuteu suchte wenige Monate später zu Pfingsten 2013 in Korschenbroich Hilfe, und noch im gleichen Jahr wurde die Augenhilfe Afrika e.V. gegründet.
Die Strecke nach Ambam ist von der Qualität der Straße her sehr „abwechslungsreich“. Bis Ebolowa ist sie sehr gut ausgebaut, doch weiter südlich reiht sich dann Schlagloch an Schlagloch. Hier ist hochkonzentriertes Fahren angesagt. Unterwegs gibt es immer wieder Kontroll- und Mautstellen, die aber in der Regel problemlos passiert werden können. Riesige mit Baumstämmen beladene LKWs kommen uns entgegen. Der Regenwald wird wie in vielen anderen Ländern auch in Kamerun weiterhin gnadenlos geplündert.
Im muslimischen Viertel von Ebolowa machen wir Halt für einen kleinen Imbiss. Unser Mahl am Straßenrand (s. Foto) erweckt sicher nicht den Anschein von Exklusivität und Luxus, ist aber durchaus sehr schmackhaft und sättigend.
Die im März 2021 eröffnete neue Augenklinik in Ambam ist ein Kleinod und ohne Einschränkung voll funktionsfähig. Allerdings fehlen wegen der Corona-bedingten Grenzschließungen weiter die für die Auslastung sehr wichtigen Patienten aus Gabun und Äquatorial-Guinea. Voll funktionsfähig heißt im Übrigen auch nicht, dass alles in bester Ordnung wäre. Es gibt deutlichen Bedarf für weitere Investitionen. Beispielsweise muss eine Wasserableitung oberhalb der Klinik installiert werden, damit diese in der Regenzeit nicht überschwemmt wird. Es fehlen Einbauschränke, was dazu führt, dass herumstehende Kisten und Kartons das Gesamtbild trüben. Die niedrige Mauer rund um die Klinik hat immer noch kein Gitter, was möglicherweise zum unbefugten Eindringen von außen einlädt. Erst wenn wieder genügend Geld in unserer Kasse ist, werden wir hier investieren können.
Unterwegs auf der Rückfahrt nach Yaoundé fällt uns ein junger Mann auf, der damit beschäftigt ist, Schlaglöcher mit Erde zu füllen. Doch im Gegensatz zu anderen von uns beobachteten Fällen hält er nicht die Hand auf, um eine kleine Spende zu erbitten, sondern steht wie unbeteiligt am Straßenrand. Dr. Cheuteu lässt den Fahrer anhalten, weil er mit dem geübten Blick des Augenarztes etwas Wichtiges erkannt hat. Der Junge hat eine schwere Augenerkrankung und kann offensichtlich nur sehr schlecht sehen. Dr. Cheuteu bestellt ihn für Januar in die Augenklinik nach Ambam, um ihm dort zu helfen.
Mit dem Flugzeug geht es von Yaoundé aus nach Maroua und von dort mit dem Auto weiter nach Mokolo, wo die dritte OP-Kampagne des laufenden Jahres 2022 stattfindet. Über diese Kampagne werde ich in Kürze an dieser Stelle ausführlich berichten.
Nach vier Übernachtungen in Mokolo ziehen wir um in ein Hotel nach Maroua, von wo aus wir dann nach Mora fahren, um dort an der Grundsteinlegung für unsere dritte Augenklinik teilzunehmen. Auch dieses sehr exotische und farbenfrohe Ereignis werde ich in Kürze auf dieser Website separat und ausführlich behandeln.
Zurück in Yaoundé bleibt uns vor dem Heimflug noch genau ein Tag für touristische Aktivitäten. Günter und ich nutzen diesen zu einer Fahrt zum Nationalpark du Mfou und dann weiter nach Ebogo, wo wir eine Pirogenfahrt unternehmen und im Urwald einen absolut gigantischen Baum mit Brettwurzeln aus unmittelbarer Nähe bewundern dürfen.
Und am sehr frühen Morgen des 2. Dezembers landet dann die Maschine von Brussels Airlines auf dem Brüsseler Flughafen, von wo aus wir dieses Mal ohne irgendwelche Probleme mit dem Zug nach Korschenbroich fahren, mit einer Vielzahl in nächster Zeit anzugehender Aufgaben im Gepäck. Eine sehr aufwühlende und ereignisreiche Reise kommt damit an ihr Ende.