Eigentlich war unsere dritte Augenoperationskampagne des laufenden Jahres für den Ort Ngoumou im Urwald südwestlich der Hauptstadt Yaoundé vorgesehen. Doch auch in Kamerun grassiert die Corona-Pandemie, und die zuständige Präfektur hatte die Durchführung der geplanten OP-Kampagne in Ngoumou untersagt. Das Risiko der damit verbundenen Menschenansammlung erschien dem Präfekten bezüglich möglicher Infektionen zu hoch.
Nun ist die Situation in Kamerun in mancher Beziehung gar nicht so viel anders als in Deutschland. Was in der einen Region unter Pandemie-Gesichtspunkten verboten ist, darf in einer anderen ohne weitere Umstände durchgeführt werden. Jedenfalls erteilt der Präfekt, der für den ebenfalls im südkamerunischen Urwald gelegenenen Ort Kum-Yetotan zuständig ist, problemlos die Erlaubnis zur Durchführung einer OP-Kampagne.
Kum-Yetotan liegt südöstlich von Yaoundé auf etwa halbem Weg von der Hauptstadt zur kongolesischen Grenze, ein paar hundert Kilometer östlich von Ngoumou und vor allem sehr weit entfernt von jeglicher augenärztlichen Behandlungsmöglichkeit. Entsprechend groß ist folglich auch dieses Mal der Andrang der Hilfesuchenden.
Aufgrund des großen Arbeitsanfalls in Dr. Raoul Cheuteus Klinik in Yaoundé muss sein Kollege Prof. Dr. Giles Kagmeni dort die Stellung halten und kann nicht an der Kampagne in Kum-Yetotan teilnehmen. Für ihn springt wie schon bei früheren Gelegenheiten Dr. Gabriel Koagang ein, der ebenso wie Dr. Cheuteu und Prof. Kagmeni in Deutschland studiert hat. Der Autor dieses Berichts hatte ihn bei der Kampagne in Eséka im Frühjahr 2017 kennengelernt und bei der Gelegenheit das beigefügte Foto aller drei an unseren bisherigen OP-Kampagnen beteiligten kamerunischen Augenärzte aufgenommen.
Schon am frühen Morgen des ersten Kampagnentages, am 23. September, umlagern hunderte Blinde und Sehbehinderte sowie die sie begleitenden Familienmitglieder das kleine Krankenhaus von Kum-Yetotan, wo die Kampagne stattfindet. Der Begriff Krankenhaus ist hier sehr hoch gegriffen, denn mit einem Krankenhaus, wie wir es in Deutschland kennen, hat das Gebäude nur wenig gemein. Alles ist außerordentlich einfach, einen Operationssaal beispielsweise gibt es gar nicht, und wie so oft muss das Augenhilfe-Team massiv improvisieren.
Schon am ersten Tag werden von Dr. Cheuteu und Dr. Koagang 117 Untersuchungen durchgeführt und 28 Augen operiert. Unter den geschilderten schwierigen Randbedingungen eine überaus beachtliche Leistung des gesamten Augenhilfe-Teams. Parallel werden Augen vermessen, Brillengläser geschliffen und in einfacher gelagerten Fällen Lesebrillen verteilt. Die Bedeutung des Themas Lesebrillen sollte man in diesem Zusammenhang nicht unterschätzen. Auch sie können bereits eine beachtliche Verbesserung der Lebensumstände für den jeweiligen Sehbehinderten bedeuten. Erstmals kommen die vom Lions Club Kaarst-Büttgen-Korschenbroich finanzierten Projektoren (Digital Vision Charts) zum Einsatz. Auf den zugehörigen Monitoren können verschiedenste Darstellungen sichtbar und für Patienten und Angehörige vor allem auch anschaulich gemacht werden.
Eine Premiere gibt es auch für das von der Stiftung Kinder sollen sehen gespendete binokulare indirekte Ophthalmoskop. Auch dieses Gerät zur Untersuchung des Augenhintergrunds wird erstmals bei einer OP-Kampagne eingesetzt.
Der Patient Paul, ein älterer Herr, ist bereits seit 5 Jahren komplett blind. Auf beiden Seiten leidet er an Grauem Star. „Ich kann keine Dinge mehr erkennen. Wenn ich gehe, falle ich oft, und die Leute lachen mich aus. Eine Operation in einer Klinik kann ich mir nicht leisten. Ich habe die dafür nötigen 185.000 Francs CFA nicht. Deshalb hoffe ich jetzt auf die Augenhilfe.“ Er ist in jeder Beziehung völlig abhängig von seinen Enkelkindern.
Unmittelbar vor seiner Operation, als er gemeinsam mit anderen Patienten ganz gespannt darauf wartet, in den für die OPs genutzten Raum geführt zu werden, ist er hochgradig nervös. Doch als ihm dann nach überstandener Operation am nächsten Morgen der Verband abgenommen wird, erscheint ein strahlendes Lächeln auf seinem Gesicht. Begeistert schlägt er die Hände zusammen. Er kann tatsächlich wieder sehen. Dies übertrifft seine kühnsten Träume. Er lacht und kichert, mustert die Kleidung des vor ihm stehenden Dr. Cheuteu und kommentiert: „Ich liebe Ihre Schuhe.“
Für Dr. Cheuteu kommt die gezeigte Reaktion des Patienten Paul nicht überraschend. „Ein Blinder lächelt nicht mehr, weil er das Lächeln anderer nicht mehr sieht. Indem wir die Sehkraft der Patienten wiederherstellen, bringen wir sie aus ihrer Isolation heraus. Die Auswirkungen der Operation sind unmittelbar nach Abnahme der Verbände erkennbar. Das Lächeln erscheint fast sofort wieder auf den Gesichtern der Patienten.“
Mit einer Ausnahme betreffen alle Operationen in Kum-Yetotan den Grauen Star. Die Ausnahme bildet ein 8jähriges Mädchen, das seit Tagen unter starken Schmerzen im rechten Auge leidet. Mit dem von der Stiftung Lichtblicke in der Welt gespendeten Tonometer wird erhöhter Augendruck festgestellt, und die Untersuchung mit der Spaltlampe ergibt eine Bindehauthyperämie, ein Ödem des Hornhautstromas und ein weißes sich bewegendes Objekt in der Vorderkammer. Es ist ein auch mit bloßem Auge erkennbarer Loa-loa, ein Augenwurm.
Die Notfall-Wurm-Ablation wird durch einen 2,8 mm weiten Hornhauttunnel unter retrobulbärer Anästhesie durchgeführt. Das Verfahren endet mit einer Spülung der Vorderkammer, gefolgt von einer subkonjunktivalen Injektion einer Kombination von Steroiden und Antibiotika. Die postoperative Behandlung umfasst sechsmal täglich Dexamethason-Augentropfen, zweimal täglich 0,5% Tropicamid und eine Kombination aus Steroid- und Antibiotika-Salbe für den Abend.
Der geschilderte Fall erscheint uns hier in Europa sicher ziemlich exotisch. In Kamerun ist er das leider nicht. Das durch den Loa-loa verursachte Krankheitsbild Loiasis wird tatsächlich auch Kamerunbeule genannt. Der Wurm tritt nämlich nicht nur im Auge, sondern praktisch überall im Unterhautfettgewebe des Körpers auf und verursacht die namensgebenden charakteristischen Beulen.
Am 26.09. kommt die OP-Kampagne schließlich zum Abschluss. Das Team kann auf einen sehr erfolgreichen Verlauf zurückblicken und darf auf das Geleistete auch durchaus ein kleines bisschen stolz sein. Insgesamt wurden 400 Augenuntersuchungen durchgeführt, 52 Augen operiert und die geradezu unglaublich hohe Zahl von 50 maßgeschneiderten, individuell geschliffenen Brillen sowie 300 Lesebrillen verteilt. Letztere hatte eine einheimische kamerunische Frau dem Augenhilfe-Team gespendet.
Zum Abschluss der Kampagne verteilt Dr. Cheuteu noch die Nachsorge-Medikamente. Anschließend erklärt er den Patienten und ihren Angehörigen, wie diese im Einzelnen anzuwenden sind. Danach machen sich alle, Patienten, deren Begleitpersonen und auch das Augenhilfe-Team, auf den Heimweg.
Damit sind drei der für 2020 geplanten insgesamt vier OP-Kampagnen bereits Geschichte. Die letzte Augenhilfe-Kampagne des laufenden Jahres soll dann Ende November in Akonolinga, etwa 150 km östlich von Yaoundé, stattfinden.