Die erste OP-Kampagne 2021 in Eminemvom im Urwald Kameruns

Die Entscheidung für die Wahl von Eminemvom als erstem Kampagnenort 2021 kommt durch eine Begegnung im Lions Club in Yaoundé zustande. Dort wird Dr. Raoul Cheuteu von seinem Lions-Bruder Colonel Brice Okoumou gefragt, ob er nicht einmal eine OP-Kampagne in seinem Heimatort Eminemvom durchführen könnte. Diese Gemeinde liegt tief im südkamerunischen Urwald, gut 200 km entfernt von Yaoundé und auch sehr weit entfernt von der nächsten Strom- und Trinkwasserleitung. Die große Mehrheit der etwa 10.000 Einwohner der Gemeinde Eminemvom, zu der insgesamt 25 weit verstreute Dörfer gehören, ist für ihren Lebensunterhalt auf traditionelle Subsistenzwirtschaft angewiesen. Angebaut werden vor allem Maniok, Mais und Taro.

Die Lage von Eminemvom im Süden von Kamerun
Schwierige Straßenverhältnisse

Gemeinsam mit dem Colonel fährt Dr. Cheuteu zweimal in dessen Heimatdorf, um die anstehende OP-Kampagne vorzubereiten. Die Anreise auf zum Teil sehr schlechten Straßen ist jeweils recht mühsam und das als Kampagnenort vorgesehene Krankenhaus von Eminemvom kaum mehr als ein überdachter, weitgehend leerstehender Gebäudekomplex ohne nennenswerte Inneneinrichtung, ohne Wasserversorgung und ohne elektrischen Strom. Auch eine Unterkunft für das Team ist vor Ort nicht verfügbar. Dazu müssen Dr. Cheuteu und das gesamte Team während der Kampagne jeden Tag ins 35 km entfernte Sangmélima ausweichen. Die Randbedingungen für die Kampagne sind also nicht besonders gut.

In Eminemvom
Dr. Raoul Cheuteu (2.v.r.) und Colonel Brice Okoumou (3.v.l.) bei Vorbereitungstour in Eminemvom

Am 17. Februar ist es schließlich soweit. Der sehr engagierte Colonel Brice Okoumou nimmt das Team am ersten Kampagnentag vor Ort in Empfang, und Dr. Cheuteu verwandelt zunächst in einem ersten Schritt einen leeren 12 m² großen Raum in einen Operationssaal. Auch der gerade aus Deutschland angelieferte, von Augenärzten in Schwaigern bei Heilbronn gespendete Operationsstuhl (wir berichteten) kommt jetzt zu seinem ersten Einsatz in Kamerun. Vor weniger als zwei Wochen befand er sich noch in einem Container im Hafen von Douala, und nun bietet er unseren beiden Augenärzten bei den OPs völlig ungewohnten Komfort.

Bald ist der OP-Saal eingerichtet und sterilisiert. Während das Team alles für die anstehenden Untersuchungen und Operationen vorbereitet, treffen immer mehr Augenkranke mit ihren Angehörigen ein.

Leerer 12 m² großer Raum wird in Operationssaal umgewandelt.
Immer mehr Augenkranke …
… und Angehörige treffen ein.
Wartende Patienten und Begleitpersonen vor dem Krankenhaus …
… und vor dem Untersuchungsraum
Das Augenhilfe-Team mit Dr.Cheuteu (2.v.l.)

Und schon kurz darauf können die Voruntersuchungen beginnen. Dabei setzen die beiden Ärzte, Dr. Cheuteu und Prof. Dr. Giles Kagmeni, aber auch unser MTA Anthony Akpeny, der Direktor der neuen Klinik in Ambam, mit Begeisterung und Stolz auch die neuen hochmodernen augenmedizinischen Untersuchungsgeräte ein, die wir mit Hilfe unserer Spender in den letzten Jahren nach und nach anschaffen konnten. Dazu gehören ein Retinograph und ein binokulares Ophtalmoskop.

Teil der mitgeführten Ausrüstung
MTA Anthony Akpeny bei Untersuchung mit Spaltlampe
Dr. Cheuteu bei Untersuchung mit Spaltlampe
Eine Augenklammer erleichtert die Untersuchung.
Patientin bei Untersuchung
Blinde Patientin mit beidseitigem Katarakt
Dr. Cheuteu bei Untersuchung mit Retinograph
Dr. Cheuteu bei Untersuchung mit binokularem Ophtalmoskop
Dr. Cheuteu im Gespräch mit Patienten

Die Augenoptiker kümmern sich als zentrale Aufgabe darum, die Sehschärfe der Patienten zunächst zu ermitteln und dann zu verbessern. Sie müssen den gesamten optischen Service gewährleisten, von der Ermittlung der Dioptrienzahl bis zum Schleifen der Brillengläser und deren Montage in die Brillengestelle.

Der Bereich der Augenoptiker
Bildschirm für Sehschärfetest und weitere Tests
Brillen-Sortiment
Augenoptikerin Antoinette …
… beim Schleifen eines Brillenglases
Mit neuen Brillen ausgestattete Sehbehinderte
Diese Kleine trägt ihre neue Brille voller Stolz.

Die zur Operation vorgesehenen Kandidaten bekommen mit Pflastern auf der Stirn Markierungen, die darüber Auskunft geben, wo und was operiert werden soll. Es überwiegen wie immer auch in Eminemvom die Graue-Star-Patienten.

Zur besseren Unterscheidung werden die als nächste zur OP vorgesehenen Patienten in spezielle Umhänge gehüllt. Dieses Vorgehen hat sich bewährt, um nicht den Überblick zu verlieren. Unsere beiden Ärzte beginnen mit den OPs und operieren abwechselnd. Parallel laufen die Untersuchungen weiter.

Patienten warten auf ihre Operation.
Mit Pflastern sind die zu operierenden Augen gekennzeichnet.
Unmittelbar vor der OP. Rechts Prof. Dr. Giles Kagmeni
Prof. Kagmeni bereitet den Patienten für die OP vor.
Dr. Cheuteu übernimmt die lokale Betäubung des zu operierenden Auges.
Im Operationssaal
Dr. Cheuteu bei einer OP, rechts Prof. Kagmeni
Dr. Cheuteu mit Patienten. Die hinteren sind bereits operiert, die vorderen warten noch.

Die 79jährige Marie, allgemein Maman (Mutter) Marie genannt, ist seit zwei Monaten verwitwet und fühlt sich jetzt in ihrer schon lange anhaltenden Blindheit von völliger Hilflosigkeit überwältigt. Sie wird von einer ihrer Töchter begleitet, die von der Kampagne in Eminemvom erfahren hatte. Die Mutter hatte schon vor Monaten in einer Augenklinik im Großraum Yaoundé die Diagnose beidseitiger Grauer Star erhalten, aber kein Geld gehabt, sich operieren zu lassen. Ihre Pupillenreaktion erweist sich bei der Untersuchung durch Dr. Cheuteu als gut, der Fundus ist unauffällig, der bilaterale Katarakt ausgereift und operabel. Von Dr. Cheuteu wird der alten Dame vorgeschlagen, beide Augen operieren zu lassen, was sie voller Vertrauen sofort akzeptiert.

Nach den überstandenen OPs und der Abnahme der Verbände am nächsten Morgen strahlt Maman Marie mit ihrer Tochter um die Wette. Beide Operationen waren erfolgreich, Maman Marie kann wieder sehen. Begeistert erzählt sie den Umstehenden von ihrer Genesung. Bei der Tochter scheint die Freude fast noch größer zu sein: „Ich bin so glücklich. Es ist unglaublich!“

Patientin Maman Marie (r.) vor ihrer Operation …
… und unmittelbar danach
Frisch operierte Maman Marie zwischen Dr. Cheuteu (l.) und Prof. Kagmeni (M.)

Vor ihrer Verabschiedung bekommen alle Operierten zum Schutz ihrer Augen jeweils noch eine Sonnenbrille geschenkt. Anschließend folgen das obligatorische Gruppenfoto und eine herzliche Verabschiedung.

Insgesamt wurden in Eminemvom 320 Augenuntersuchungen und 48 Operationen durchgeführt, davon 47 an Grauem Star, sowie 30 maßgeschneiderte Brillen an bedürftige Patienten abgegeben.

Prof. Kagmeni (l.) und Dr. Cheuteu mit operierten Patienten
Abschließend gibt es zum Schutz der operierten Augen Sonnenbrillen
Abschiedsfoto Dr. Cheuteu (M.) mit Team

Doch damit ist die Geschichte der ersten Kampagne des Jahres 2021 noch nicht ganz abgeschlossen. Denn am Freitagnachmittag gegen 15.30 Uhr, ein großer Teil der Gerätschaften ist bereits wieder verpackt, erscheint ein weiterer Patient. Es handelt sich um den 56jährigen Martin Foé Bouli, der seit gut zwei Jahren auf beiden Augen blind ist. Er lebt etwa 25 Kilometer außerhalb von Yaoundé, hatte ursprünglich als Fahrer und später als Bauer gearbeitet, ist verheiratet und Vater von 5 Kindern.

Kurz vor der Kampagne ist er im Bezirk Ekounou südlich von Yaoundé in einem Sammeltaxi unterwegs, als er ein Gespräch mithört, in dem es um die anstehende OP-Kampagne in Eminemvom geht. Einer der beiden Gesprächspartner ist unser Augenoptiker David, der später bei der Kampagne zum Team gehören wird. Doch davon weiß Martin Foé Bouli zu diesem Zeitpunkt nichts. Er erkennt jedoch in der zufällig aufgeschnappten Information sofort die für ihn völlig unerwartete große Chance.

Seiner Erzählung nach ist seine ein paar Tage später durchgeführte Anreise nach Eminemvom ziemlich kompliziert. In Begleitung seines jüngeren Bruders nimmt er einen klapprigen Überlandbus und fährt zunächst nach Sangmélima. Dort leihen sich die beiden ein Motorrad und erreichen schließlich kurz vor Schluss der Kampagne Eminemvom. Sie sind also ein bisschen spät dran. Den konkreten Zeitverlauf der Kampagne hatte Martin Foé Bouli in dem mitgehörten Gespräch nur ungefähr mitbekommen.

Patient Martin Foé Bouli
Dr. Cheuteu untersucht Martin Foé Bouli.

Dr. Cheuteu untersucht den neu hinzu gekommenen Patienten kurz und stellt fest, dass dieser nur noch hell und dunkel wahrnehmen kann, aber auch, dass seine Pupillenreaktion gut ist und der Katarakt auf beiden Seiten überreif und operabel. Nur ist inzwischen leider kein steriles Operationsbesteck mehr vorhanden und ein Teil der Geräte bereits verpackt.

Als ihm dies nach und nach klar wird, ist Martin Foé Bouli traurig und völlig verzweifelt. Er sieht seinen Traum, das Augenlicht wiederzugewinnen, kurz vor dem bereits erreicht geglaubten Ziel wieder entschwinden. Er trauert schon jahrelang seiner verloren gegangenen Unabhängigkeit und seinem alten Leben hinterher. „Obwohl ich inzwischen alt bin, hatte ich ein gutes Leben, bevor ich mein Augenlicht verlor. Ich habe für meine Familie gesorgt, und ich habe es geliebt, mich um unser Feld zu kümmern“, sagt er.

Dr. Raoul Cheuteu lädt den völlig niedergeschlagenen Patienten spontan in seine Klinik nach Yaoundé ein, um ihn dort kostenlos zu operieren. Als Operationstermin legt er den folgenden Dienstag, 23.2.21, 11.00 h fest. Die Klinik öffnet morgens erst um 9.00 h, aber Martin Foé Bouli ist bereits um 6.30 h da. Diese einmalige Chance will er um gar keinen Preis verpassen.

Am Tag nach seiner Operation ist er überglücklich, als Dr. Cheuteu ihm die Verbände abgenommen hat. Immer wieder ruft er: „Danke, danke. Ich kann sehen. Der Herr möge Sie segnen, Doktor!“

Seit längerer Zeit konnte er keinen Beitrag mehr zur Versorgung seiner Familie leisten. Im Gegenteil, er war zu einer Last geworden für alle diejenigen, die ihm nahestehen, weil er nicht mehr ohne ständige Hilfe beim Anziehen, sich Fortbewegen und kurz gesagt allen Aufgaben des täglichen Lebens existieren konnte. Das alles ändert sich für ihn jetzt auf einen Schlag wieder zum Positiven. Er bekommt quasi sein früheres Leben zurück.

Geschätzt 80% aller Blindheitsfälle in Afrika könnten wie der von Martin Foé Bouli mit einfachen und zumindest für mitteleuropäische Verhältnisse kostengünstigen Maßnahmen vermieden werden. Vorausgesetzt, es ist jemand da, der sich kümmert und die notwendigen Fähigkeiten, Ausrüstungen und finanziellen Mittel mitbringt. Mit Hilfe unserer treuen Spender gelingt das der Augenhilfe Afrika erfreulicherweise in einer ständig weiter zunehmenden Zahl von Fällen.