Die Kampagne in Akonolinga im Mai 2021 konnte wegen der Corona-Erkrankung von Dr. Raoul Cheuteu und der praktisch zeitgleichen Nierenstein-Erkrankung von Prof. Dr. Giles Kagmeni nicht wie eigentlich geplant durchgeführt werden. Nur die Augen-Untersuchungen sowie die Anfertigungen maßgeschneiderter Brillen fanden statt, die Augenoperationen wegen des Fehlens der Ärzte dagegen nicht (wir berichteten).
Für Ende November 2021 hatten unsere beiden Augenärzte dann versucht, die betroffenen Patienten dazu zu bewegen, zur Operation in die Augen-Klinik nach Yaoundé zu kommen, doch das hatte nicht recht funktioniert, sei es wegen Kommunikationsproblemen, sei es wegen des zu weiten Anreiseweges. Sicher gab es auch noch weitere Gründe. Jedenfalls ist zum OP-Termin am 30.11. nur ein einziger Patient erschienen, dessen beide Augen dann auch erfolgreich an Grauem Star operiert wurden.
Um den verbleibenden OP-Kandidaten aus Akonolinga eine weitere Chance zu geben, wurde entschieden, die erste Kampagne des Jahres 2022 in Ayos durchzuführen. Diese Kleinstadt liegt an der Nationalstraße 10 knapp 150 km östlich der kamerunischen Hauptstadt Yaoundé in der Nähe des Nyong-Flusses, ist nur wenige Kilometer von Akonolinga entfernt und verfügt mit seinem öffentlichen Krankenhaus über deutlich bessere Rahmenbedingungen für eine OP-Kampagne als das benachbarte Akonolinga.
Der Ort Ayos und seine Umgebung haben eine gewisse Bedeutung in der kamerunischen Medizingeschichte. Der deutsche Kolonialoffizier Ludwig Freiherr von Stein zu Lausnitz, einer der ersten deutschen Offiziere in Kamerun, meldete 1901 bei Atok, östlich von Ayos, einen schweren Ausbruch von Trypanosomiasis (Schlafkrankheit). Diese Tropen-Krankheit machte damals nicht nur der deutschen Kolonialverwaltung in Kamerun, sondern auch denen der anderen europäischen Kolonialmächte in Afrika ziemlich zu schaffen. 1913 gründete ein deutscher Arzt in Ayos die erste westlich geprägte medizinische Einrichtung. Nach dem Ersten Weltkrieg führten französische Ärzte die von den Deutschen begonnene Arbeit fort und widmeten sich weiterhin vor allem der Bekämpfung der Schlafkrankheit.
Wie immer vor einer anstehenden OP-Kampagne besucht Dr. Raoul Cheuteu auch im Fall von Ayos einige Zeit vorher den ausgewählten Kampagnenort, um alles Nötige vorzubereiten. Da öffentliche Krankenhäuser in Afrika in der Regel schlecht gepflegt sind, muss das Team dann aber zu Beginn der Kampagne in Ayos trotz aller Vorbereitung erst einmal das Sprechzimmer und den zur Verfügung gestellten Operationssaal gründlich reinigen. Erst danach können die Untersuchungen der inzwischen in großer Zahl eingetroffenen Patienten beginnen.
Unsere beiden Ärzte Dr. Raoul Cheuteu und Prof. Giles Kagmeni werden bei der Kampagne von dem aus Ayos stammenden jungen Augenarzt Dr. Bertain Biwole unterstützt, der dafür wie auch seine beiden älteren Kollegen keinerlei Vergütung erhält, also, wie diese Beiden immer schon bei allen unseren Kampagnen, ebenfalls kostenlos arbeitet.
Viele Kinder mit Sehbehinderungen wachsen in Afrika ohne eine eigentlich absolut notwendige Brille auf, weil diese teuer sind und von ihren Familien nicht bezahlt werden können oder weil es in ihrem Ort weder einen Augenarzt noch einen Augenoptiker gibt, der helfen könnte. Einer ganzen Reihe solcher benachteiligten Kinder kann bei der Kampagne in Ayos eine maßgeschneiderte Brille angepasst und ausgehändigt werden. Dadurch können sie beispielsweise in der Schule dem Unterricht besser folgen, weil sie endlich in die Lage versetzt werden, genau zu sehen, was vorne an der Tafel geschieht. Ihre Lebensumstände verbessern sich durch die Brille in mancherlei Beziehung ganz entscheidend. Letzteres gilt natürlich auch für die erwachsenen Patienten, die mit Hilfe ihrer neuen Brillen endlich richtig sehen können. Insgesamt können in Ayos 38 maßgeschneiderte Brillen an bedürftige Patienten ausgegeben werden.
Neben dem Thema Brillen gilt das Hauptaugenmerk in Ayos natürlich wie bei jeder Kampagne den Operationen. Und wie immer betrifft die überwiegende Anzahl der OPs auch hier den Grauen Star, konkret in 49 von insgesamt 50 Fällen. Die einzige Ausnahme bildet die operative Entfernung einer konjunktivalen Zyste, eines dünnwandigen, durchsichtigen Bläschens in der Bindehaut, welches eine durchsichtige Flüssigkeit enthält.
Insgesamt wird in Ayos die bei unseren Kampagnen regelmäßig angepeilte Zahl von 50 OPs also exakt erreicht, was zunächst natürlich als uneingeschränkter Erfolg zu werten ist. Der Wermutstropfen besteht darin, dass nur ein erstaunlich kleiner Anteil der Patienten aus Akonolinga vom letzten Mai in Ayos zur OP antritt, mit konkret lediglich 10 der noch nicht operierten 47 Augen. Das bedeutet, dass die fehlenden 37 Augen nicht operiert werden können, und zwar ganz schlicht und ergreifend deshalb, weil die betroffenen Patienten nicht erscheinen. Warum, bleibt völlig unklar. Dr. Cheuteu hatte vor der Kampagne in Ayos alle denkbaren Kommunikationshebel in Bewegung gesetzt, um sicherzustellen, dass die betroffenen Patienten aus Akonolinga über Kampagnenort und -termin informiert sind. Es hat erkennbar nur sehr bedingt geholfen.
Das Phänomen, das Patienten vor ihrer OP wieder abspringen, ist uns dabei grundsätzlich keineswegs unbekannt. Schon öfter haben sich Patienten die Sache über Nacht anders überlegt und sind am nächsten Morgen dann trotz ursprünglicher Zusage nicht zur OP angetreten, vielleicht aus Angst, oder weil der Medizinmann des Dorfes sich dagegen ausgesprochen hat, oder warum auch immer. Um dieses immer wieder mal auftretende Abspringen nach „einmal drüber schlafen“ zu verhindern, haben unsere Ärzte bei einigen Kampagnen bereits unmittelbar nach den Untersuchungen mit den Operationen begonnen. Das Problem dieses Mal: Die betroffenen Patienten aus Akonolinga hatten nicht nur eine Nacht, sondern geschlagene 9 Monate Zeit, es sich anders zu überlegen.
Doch zurück zum Ablauf der Kampagne: Unsere drei Ärzte führen insgesamt 331 Augenuntersuchungen durch und wählen die für eine OP vorgesehenen Patienten aus. Die OPs werden routinemäßig abwechselnd von Dr. Raoul Cheuteu und Prof. Giles Kagmeni durchgeführt. Der noch vergleichsweise unerfahrene lokale Augenarzt Dr. Bertain Biwole assistiert.
Ein außergewöhnlicher Fall, der dem gesamten Team besonders nahe geht, ist der der 4jährigen Yvette. Dieses kleine Mädchen leidet an angeborenem Grauen Star, während ihre Zwillingsschwester völlig normal sehen kann. Ein Kinderarzt hatte schon frühzeitig eine Operation empfohlen, aber die Familie war nicht in der Lage, die für OP und Vollnarkose nötigen Mittel aufzubringen. Dies zeigt einmal mehr, wie Armut und fehlender Zugang zu medizinischer Versorgung vermeidbare Blindheit begünstigt. Geschätzt 1,4 Millionen Kinder weltweit sind blind. Und bei der Hälfte dieser Fälle wäre die Blindheit vermeidbar. Es ist eine echte Tragödie.
Dr. Raoul Cheuteu und Prof. Giles Kagmeni entscheiden nach einem Gespräch mit Yvette und ihrer Mutter, die Operation unter lokaler Narkose zu riskieren. Die Beiden haben inzwischen ja schon einige Erfahrung mit der Operation derart junger Patienten gesammelt. Yvette verspricht, sich während der Operation völlig ruhig zu verhalten und nicht zu bewegen. Vollnarkose ist übrigens keine Option, sondern scheidet wegen fehlender Möglichkeiten von vornherein aus.
Yvette bekommt eine retrobulbäre Injektion von 5 ml Buvacain, und Prof. Giles Kagmeni beginnt mit der Operation. Die Anästhesie läuft sehr gut, das kleine Mädchen arbeitet gut mit und bewahrt die Ruhe. Die Operation ist dann unerwarteterweise nicht trivial. Der Eingriff, der eigentlich nur wenige Minuten dauern soll, muss verlängert werden. Prof. Kagmeni kommentiert, nachdem er schließlich beide Augen erfolgreich operiert hat: „Die erkrankten Linsen waren ungewöhnlich flüssig. Ich musste sie Stück für Stück heraussaugen, während sie normalerweise leicht am Stück herausgelöst werden können. Danach konnte ich dann jeweils die künstliche Linse an ihren Platz schieben.“
Am Folgetag fällt der Sehtest bei Yvette ausgesprochen positiv aus. Sie strahlt und kann die geometrischen Formen, die ihr eine Krankenschwester aus einer gewissen Entfernung zeigt, klar erkennen und auch benennen. Dann stellt sie Dr. Cheuteu die überraschende Frage: „Warum trägst Du eine Arztbrille? Wer hat Dir die gekauft?“
Yvette, ihre Mutter, ihre Zwillingsschwester und das ganze Team sind überglücklich. Yvette kann endlich sehen und sich auf eine grundlegend zum Besseren veränderte Zukunft freuen.
Natürlich hat nicht nur Yvette, sondern auch jeder andere der hilfesuchenden Blinden und Sehbehinderten eine eigene individuelle Krankheits- und Leidensgeschichte, die dem Team in den meisten Fällen aber zumindest im Detail verborgen bleibt. Eine weitere interessante Ausnahme von dieser Regel stellt in Ayos die an Grauem Star erkrankte Großmutter von Dr. Bertain Biwole dar. Wie erwähnt arbeitet dieser bei der Kampagne ohne Entgelt mit, bringt aber im Gegenzug seine blinde Großmutter mit, die von unseren beiden erfahrenen Graue-Star-Operateuren erfolgreich operiert wird und dadurch ihr Augenlicht zurückerhält.
Bei einer 32jährigen Frau müssen unsere Ärzte feststellen, dass diese ihr linkes Auge durch eine schlecht durchgeführte Selbstmedikation komplett zerstört hat. Dies ist ein in Afrika weit verbreitetes Phänomen. Die Menschen wissen sich nicht zu helfen, haben keinerlei professionelle medizinische Unterstützung, machen dann halt irgendetwas mit ihrem erkrankten Auge und erreichen damit ggf. das genaue Gegenteil des Gewünschten. Das Team kann im konkreten Fall nichts mehr reparieren und der Betroffenen lediglich eine Brille zum Schutz des verbleibenden Auges überlassen.
Zum Abschluss der Kampagne in Ayos bekommen die operierten Patienten noch die Medikamente für die Nachsorge überreicht. Der im Bild rechts neben Dr. Raoul Cheuteu gezeigte Mann aus Akonolinga war in Douala sehr schlecht an seinem linken Auge operiert worden und hatte seine Sehfähigkeit fast komplett verloren. Bei der Kampagne wurde jetzt sein zweites, also das rechte Auge erfolgreich operiert und dadurch seine Sehfähigkeit auf immerhin einem Auge wiederhergestellt.
Mit der OP-Kampagne in Ayos ist die Augenhilfe Afrika nach dem „Loch“ durch die Corona-Erkrankung von Dr. Raoul Cheuteu wieder zurück im normalen Rhythmus der vier jährlichen Kampagnen. Die restlichen drei Kampagnen 2022 sind bereits vorbereitet und fest terminiert. Sie finden im Mai in Niété, im Juli in Limbé und im November in Mokolo statt.