Besuch des Eye Camps in Onandjokwe, Namibia – Wo Hilfe dringend benötigt wird

Bereits zweimal haben wir auf dieser Website über die geplante Ausweitung der Aktivitäten der Augenhilfe Afrika von Kamerun nach Namibia berichtet (Dezember 2014 „Namibia als weiteres Betätigungsfeld für die Augenhilfe Afrika?“ und Juli 2025 „Weitere Hilfslieferungen auf dem Weg – nach Namibia und Kamerun“).

Diese Nachricht wurde nicht überall mit Begeisterung aufgenommen. Wir wurden mit der Aussage konfrontiert, dass Namibia doch ein reiches Land sei und Hilfe nicht im gleichen Maße brauche wie Kamerun. Diese Einschätzung mag auf den ersten Blick verständlich sein, ist jedoch oft von Eindrücken aus touristischen Gebieten oder Luxus-Lodges geprägt. Die wirkliche Situation der breiten namibischen Bevölkerung wird dabei nicht ansatzweise berücksichtigt. Unsere spontane Reaktion: Mittellose Blinde in Namibia können genauso wenig sehen wie in Kamerun und benötigen infolgedessen ebenso dringend Hilfe. Das war die Ausgangssituation für unsere Erkundungsreise.

Typisches Landschaftsbild in Nord-Namibia
Erkundungsgang in der Nähe unseres Hotels in Ondangwa

 

Eine Reise zur Standortbestimmung

In der ersten Septemberhälfte haben mein Bruder Günter und ich – natürlich auf eigene Kosten –Namibia besucht, um die Situation vor Ort genauer kennenzulernen und besser einschätzen zu können. Neben touristischen und privaten Aspekten stand vor allem die zeitweise Teilnahme an dem sogenannten Eye Camp in Onandjokwe im Ovamboland in Nord-Namibia auf dem Programm.

Wir hatten bereits berichtet, dass die beiden namibischen Augenärzte Dr. Helena Ndume und Dr. Ernst van der Merwe jährlich jeweils fünf einwöchige Eye Camps an verschiedenen Orten im Land organisieren. Dabei werden an fünf Operationstischen gleichzeitig 600 bis 700 Graue-Star-Operationen durchgeführt. In den letzten fast 30 Jahren hat Dr. Ndume, die in Namibia geradezu ehrfürchtig „Miracle Doctor“ genannt wird, über 38.000 Augen-OPs organisiert – eine unfassbar große Zahl. Das von uns besuchte Camp in Onandjokwe war das fünfte und letzte Eye Camp des laufenden Jahres.

Improvisiertes Plakat in der Klinik von Onandjokwe

 

Eindrücke vom Einsatz in Onandjokwe

In unserem Hotel in Ondangwa trafen wir auf Dr. Helena Ndume, Dr. Ernst van der Merwe und den englischen Augenarzt Dr. Jeffrey Joseph, der eigens für das Eye Camp eingeflogen war, um bei den OPs mitzuwirken. Gemeinsam fuhren wir nach dem Frühstück zur nahen Klinik. Unmittelbar vor der Abfahrt zur Klinik stellte uns Dr. Helena Ndume noch die in Namibia offenbar sehr bekannte Influencerin Hella Nghifindaka vor, deren Plan es war, den Tag per Video zu dokumentieren.

Der von Hella dann auch erstellte Beitrag ist hier zu finden:

https://www.facebook.com/100050491989498/posts/from-darkness-to-dawn-shadowing-dr-helena-ndume-on-her-eye-camp-mission-at-onand/1325130045846716/

Am Morgen vor dem Hotel, v.l. der Autor, die Influencerin Hella Nghifindaka, Dr. Helena Ndume und Günter Thoren
In der Klinik angekommen. Günter Thoren im Gespräch mit Dr. Helena Ndume

In der Klinik kümmerten sich die Ärzte zuerst um die am Vortag operierten Patienten. Diese hatten allesamt in der Klinik auf Matratzenlagern übernachtet. Das hat den großen Vorteil, dass sie permanent unter Kontrolle sind und bei Bedarf jemanden um Rat oder Hilfe bitten können. Vor allem sind am nächsten Morgen bei der Abnahme der Verbände und der Ausgabe der Nachsorgemedikamente alle Patienten ohne Ausnahme anwesend. Dies ist bei unseren OP-Kampagnen in Kamerun leider nicht immer der Fall, da dort die Möglichkeit zur Übernachtung unmittelbar am Ort der Kampagne fehlt. Die logistischen Rahmenbedingungen sind dort einfach deutlich anders.

Der Reihe nach untersuchten die Ärzte die operierten Augen. Die Stimmung war ausgesprochen gelöst. Die Patienten waren froh, dass sie wieder sehen konnten, und zeigten dies in einem spontanen Dankeslied. Dr. Helena Ndume stimmte in das Lied ein und dirigierte mit ihren Händen den Takt.

Die Ärzte bei der Nachuntersuchung. Knieend Dr. Jeffrey Joseph, daneben Dr. Ernst van der Merwe und rechts Dr. Helena Ndume

Die Patienten stimmen freudig ein Lied des Dankes an.

Kurz darauf wurden alle Patienten zusammengeholt, um ihre Nachsorgemedikamente überreicht zu bekommen. Dr. Helena Ndume, die nicht nur eine tolle Ärztin, sondern auch ein Sprachtalent ist, erklärte alles im Detail auf Ovambo, der lokalen Sprache. Was viele Leser vielleicht nicht wissen: Ovambo ist die Muttersprache für etwa die Hälfte der Namibier. Das nördliche Namibia (Ovamboland) ist der bevölkerungsreichste Teil des Landes.

Dr. Helena Ndume erklärt die Verwendung der Nachsorgemedikamente.

Auch hier im größeren Kreis stimmte die Menge spontan ein Dankeslied an. Es herrschte eine Stimmung wie bei einem Gottesdienst.

Gottesdienst-Atmosphäre zum Abschied

 

Der OP-Bereich in Onandjokwe

Danach ging es an das eigentliche Tageswerk: die OPs des Tages. Patienten, Ärzte, Personal und wir Besucher wurden neu eingekleidet und mit Mundschutz ausgestattet. Anschließend wurden die Patienten im Anästhesiebereich auf ihre OP vorbereitet.

Fünf Augenchirurgen waren gleichzeitig im Einsatz: Zwei Namibier, zwei aus Äthiopien stammende Ärzte, die in Namibia arbeiten, und der eigens eingeflogene Dr. Jeffrey Joseph aus England. Die US-amerikanische NGO SEE International unterstützt die Eye Camps und koordiniert die Beteiligung von Augenchirurgen aus Übersee.

Der Anästhesiebereich
Ein zu operierendes Auge wird lokal betäubt.
Patienten warten auf ihre OP.

Der Ablauf ist hochprofessionell organisiert, was bis hin zum reichhaltigen Catering reicht. Der Personalaufwand ist allerdings beträchtlich: Insgesamt 60 bis 70 Personen sind an der Vorbereitung und Durchführung eines Eye Camps beteiligt. Auch hier sind die Rahmenbedingungen anders als bei unseren Kampagnen in Kamerun.

Die Operationen beginnen. Dr. Helena Ndume erklärt Günter Thoren das Vorgehen.
Der 3er OP-Saal. Links operiert Dr. Jeffrey Joseph, in der Mitte Dr. Ernst van der Merwe und rechts der jüngere der beiden äthiopischen Augenärzte.
Dr. Ernst van der Merwe im Einsatz

Ein Einblick in das Geschehen im 3er OP-Saal

Nicht immer läuft die Vorbereitung reibungslos. Manche schwergewichtige oder behinderte Patienten mussten gemeinsam auf den OP-Tisch gehoben werden – was aber gelang.

Ein schwergewichtiger und beinamputierter Patient wird aus dem Rollstuhl auf den OP-Tisch gehoben.

 

Im Gespräch mit Dr. Letha Usko: Tradition trifft Wissenschaft

Zwischendurch nutzten mein Bruder Günter und ich jede Gelegenheit für den Austausch mit dem engagierten Team. Es war inspirierend zu sehen, mit welcher Professionalität und Hingabe die fünf Ärzte eine ganze Woche lang Menschen vom Grauen Star befreiten.

Besonders in Erinnerung bleibt das Gespräch mit der jungen Ärztin Dr. Letha Usko. Sie gehört dem Himba-Volk an, dessen traditionelle Lebensweise bei Touristen oft für Aufsehen sorgt. Dr. Usko verkörpert auf beeindruckende Weise, wie moderne Wissenschaft und tief verwurzelte Tradition harmonieren können. Mit absoluter Überzeugung erklärte sie uns, dass die traditionelle offenherzige Tracht der Himba-Frauen für sie das Natürlichste auf der Welt sei und keinerlei Anlass zur Kritik biete.

In ihrer Person liegen die wissenschaftliche medizinische Ausbildung und die Himba-Tradition offensichtlich gleichberechtigt und dicht beieinander. Dieses Zusammentreffen von Expertise und kulturellem Selbstbewusstsein ist ein starkes Zeichen für die Vielfalt und den Respekt innerhalb des Eye Camp-Teams.

Der Autor im Gespräch mit Dr. Letha Usko, einer Ärztin aus dem Volk der Himba
Günter Thoren mit Dr. Helena Ndume

 

Fazit und Zukunftsplanung: Kamerun und Namibia Hand in Hand

Nach Abschluss der letzten Operationen kehrten wir zum Hotel zurück und verbrachten einen sehr unterhaltsamen Abend, der durch die Beobachtung einer totalen Mondfinsternis unter dem wolkenlosen namibischen Himmel gekrönt wurde.

Feierabend im Hotel, v.l. Dr. Jeffrey Joseph, Günter Thoren, Dr. Helena Ndume, der Autor, Dr. Ernst van der Merwe
Totale Mondfinsternis

Am nächsten Tag setzten wir unsere Reise fort und besuchten Dr. Helena Ndume schließlich an ihrem Arbeitsplatz im Windhoek Central Hospital, wo wir auch ihre namibische Kollegin Dr. Corinna André kennenlernten.

Der Autor mit den beiden namibischen Augenärztinnen Dr. Corinna André (l.) und Dr. Helena Ndume

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die zeitweise Teilnahme am Eye Camp in Onandjokwe für uns sehr eindrucksvoll war. Der Durchsatz an Patienten war enorm. Gleichzeitig brauchen wir uns mit unseren inzwischen mehr als 2.200 Operationen in Kamerun keineswegs zu verstecken. Dieses Pensum haben wir mit lediglich zwei Augenchirurgen und einem Team von im Mittel nur ca. fünf weiteren Personen geschafft.

Der entscheidende Unterschied liegt in den logistischen Bedingungen und der Infrastruktur:

  • Namibia: Das gesamte Personal des Eye Camps (mit Ausnahme des englischen Arztes) wird vom namibischen Staat bezahlt, unabhängig davon, ob gerade ein Eye Camp stattfindet oder nicht. Niemand arbeitet hier umsonst. Und die augenmedizinische Ausrüstung sowie das Verbrauchsmaterial inklusive der künstlichen Linsen wird vom Staat bzw. von SEE International bereitgestellt.
  • Kamerun: Unsere OP-Kampagnen sind auf die freiwillige, ehrenamtliche Unterstützung unserer beiden Augenärzte und deren Team angewiesen. Und die gesamte Ausrüstung inklusive Verbrauchsmaterial wird von der Augenhilfe Afrika finanziert und zur Verfügung gestellt.

Ein weiteres Beispiel für die Herausforderungen in Namibia: Man könnte neidisch auf die fünf OP-Mikroskope schauen, die bei den Eye Camps eingesetzt werden. Dazu muss man jedoch wissen, dass diese nach dem Eye Camp wieder abtransportiert werden. Danach verfügt das Krankenhaus in Onandjokwe, obwohl es die beiden fähigen äthiopischen Augenchirurgen beschäftigt, über kein einziges OP-Mikroskop mehr. Die Ärzte müssen für anstehende Augen-OPs wieder die knapp 50 km ins entfernte Oshakati fahren.

Die medizinische Versorgung in staatlichen Einrichtungen Namibias ist theoretisch kostenlos oder gegen eine sehr geringe Gebühr verfügbar. Theoretisch. Denn die Krankenhäuser sind oft völlig überlastet, und die Wartezeiten extrem lang.

Ein trauriges Schicksal – und ein Funken Hoffnung, den wir entfacht haben: In Swakopmund wurden wir mit dem Fall von Gily konfrontiert, einem ehemaligen U17-Fußball-Nationalspieler. Sein Leben änderte sich schlagartig, als ein brutaler Tritt sein linkes Knie zerstörte. Fünf lange Jahre musste der heute 25-Jährige auf Krücken gehen und sich mühsam humpelnd durch den Alltag kämpfen. Fünf Jahre, in denen ihm niemand helfen konnte oder wollte.

Doch das soll sich nun ändern: Der renommierte namibische Orthopäde Dr. Skinner hat einen Kostenvoranschlag über 5.500 Euro vorgelegt, um das Knie mit einer Prothese aus Südafrika zu reparieren. Mein Bruder Günter und ich leisteten spontan aus privaten Mitteln einen nennenswerten Betrag. Dank weiterer privater Spenden von Freunden war das benötigte Geld innerhalb von nur 48 Stunden gesichert.

Das Kennenlernen des ehemaligen U17-Nationalspielers Gily in Swakopmund

Am 28. Oktober 2025 wird Gily in Swakopmund von Dr. Alexander Skinner operiert. Nach Aussage des Arztes ist die Operation gut verlaufen. Gily ist entsprechend guter Dinge und freut sich darauf, demnächst wieder richtig gehen zu können.

Gily nach seiner Knie-Operation

Diese Beispiele zeigen deutlich, dass Namibia sehr wohl Unterstützung von außen braucht. Die Augenhilfe Afrika will daher weiterhin in Namibia helfen, ohne unser Engagement in Kamerun zu vernachlässigen. Wir haben drei konkrete Ansatzpunkte besprochen:

  1. Ein OP-Mikroskop für Onandjokwe: Damit die beiden fähigen äthiopischen Augenchirurgen endlich vor Ort die häufigen Fälle von Grauem Star operieren können, ohne reisen zu müssen.
  2. Eine Augenoptikerwerkstatt in Oshakati: Diese soll professionell aufgebaut und bei den Eye Camps mitgeführt werden. Brillen sind dort bisher kein Thema, obwohl der Bedarf – wie auch in Kamerun – riesig ist.
  3. Ausstattung in Rundu: Wir wollen das Krankenhaus in der Provinzstadt Rundu an der angolanischen Grenze komplett mit einem augenmedizinischen Bereich ausstatten, wo bald ein Augenarzt seine Arbeit aufnehmen soll.

Dies sind umfangreiche Vorhaben. Wir hoffen, dass uns noch gebrauchsfähige Geräte von großzügigen Augenärzten bzw. Augenoptikern gegen Spendenquittung zur Verfügung gestellt werden. Aber auch sonst kann jeder mit seiner Spende dazu beitragen, dass wir die benötigte Ausstattung erwerben und unseren namibischen Partnern zur Verfügung stellen können.